„Die Linzer Stadtführerin führt durch eine Stadt, in der Frauen gelebt haben und leben, eine Stadt, die oft kaum merkbar von Frauen geprägt ist und die ihrerseits Frauen prägt. Sichtbar und hörbar werden Frauen aus unterschiedlichen Bevölkerungs- und Berufsgruppen, mit verschiedenen Lebensformen, Interessen, Fähigkeiten und manchmal auch Schwierigkeiten.“
LISA & CO
Neun Autorinnen und Mitfrauen des autonomen Frauenzentrums haben weibliche Geschichte mit der Linzer Stadtführerin sichtbar gemacht.
Kaum vorstellbar: lange Zeit war diese ansprechende Reiseführerin das einzige Buch zur Linzer Frauengeschichte (1. u. 2. Auflage 2004, 3. aktualisierte & erweiterte Auflage 2012), die mit jeweils zwei Rundgängen und Exkursionen auf spannende Weise mit den unterschiedlichen Orten verknüpft worden ist.
Pünktlich zum Weltfrauentag haben wir damit für euch Linz aus weiblicher Perspektive neu entdeckt. Wir, das sind Nell, Hermann und Petra vom Linz zu Fuß-Team. Um den Lebenswegen der vielen im Buch angeführten Linzerinnen zu folgen, haben wir uns für den RUNDGANG OST entschieden.
Los geht’s!
AUSGANGSPUNKT ALTES RATHAUS LINZ
„Vom politischen Objekt zur politischen Akteurin“
Aus der Stadtführerin erfahren wir, dass Frauen in diesem Gebäude erst sehr spät eine Rolle gespielt haben. Bis nach dem Ersten Weltkrieg waren sie vom Wahlrecht und politischen Funktionen ausgeschlossen. Um Bürger:innenrechte zu erhalten, mussten sie heiraten. Mit der Scheidung oder dem Tod des Ehemanns konnten sie diese aber jederzeit wieder verlieren.
1918 zogen mit Marie Beutlmayr (Sozialdemokratische Partei) und Juliane Hudetschek (Deutsch-Freiheitliche Partei) erstmals zwei Gemeinderätinnen ins Rathaus ein.
Heute findet sich im Alten Rathaus auch das Frauenbüro der Stadt Linz, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Bedürfnisse und Wünsche der Linzerinnen einer politischen Umsetzung zuzuführen.
RATHAUSGASSE
Vom Alten Rathaus führt uns die Rathausgasse in Richtung Pfarrplatz. Auf halbem Weg halten wir vor der Hausnummer 5, wo die Familie Kepler ab dem Jahr 1619 wohnhaft war. Die dort angebrachte Tafel erinnert an den berühmten „Kaiserlichen Mathematiker“. Die Linzer Stadtführerin berichtet von seiner zweiten Ehefrau Susanne Kepler und ihrem Sinn, „alles Fehlende zu lernen“ sowie ihrer Schwiegermutter Katharina Kepler als Angeklagter eines Hexenprozesses.
PFARRPLATZ
Während das so genannte Organistenstöckl der Stadtpfarrkirche, in dem Maria Anna Bruckner ihren Bruder von 1866 – 1868 als Haushälterin versorgte, im Jahr 1872 abgerissen wurde, findet sich an der Mauer des Stadtpfarrhofes nach wie vor eine Gedenktafel, die an die bemerkenswerte Dichterin und Namensgeberin des Marianne.von.Willemer-Frauen.Literatur.Preises erinnert.
ADALBERT-STIFTER-PLATZ
Durch die Neutorgasse erreichen wir den Adalbert-Stifter-Platz und das StifterHaus. In der Stadtführerin lesen wir von den vier Frauen um Adalbert Stifter: Amalie Stifter, seiner „geliebtesten, teuersten Gattin“, ihren Nichten Juliane („das wilde Soldatenkind“) und Katharina („das Dienstmädchen“) sowie ihrer Wahlnichte und Ziehtochter Josephine Stifter.
Passend zu unserem Frauenspaziergang entdecken wir darüber hinaus auf der Fassade des StifterHauses die aktuelle Ausstellung zur Linzer Autorin Ilse Aichinger: Das grüne Märchenbuch aus Linz. Die Ausstellung ist noch bis 21. Juni 2022 bei freiem Eintritt zugänglich (Öffnungszeiten: Di-So 10-15 Uhr).
ECKE FABRIKSTRASSE/PRUNERSTRASSE
Weiter geht’s über die Untere Donaulände und Kaserngasse zur Fabrikstraße. Das „Fabrik“ erinnert an die 1672 gegründete Wollzeugfabrik. Nach deren Schließung im Jahr 1850 wurde in Teilen des leerstehenden Gebäudes eine Tabakfabrik angesiedelt. Gebannt lesen wir die Geschichte der Tabakarbeiterinnen, die „für einen sicheren Arbeitsplatz in der staatlichen Tabakfabrik […] schlechte Arbeitsbedingungen, geringen Lohn, Gesundheitsgefährdungen und strenge Disziplinierung in Kauf“ nahmen und vorwiegend ihr gesamtes Arbeitsleben dort verbrachten. 1888 führte eine unzulässige Verlängerung der Arbeitszeit zum ersten organisierten Streik von 300-400 Arbeiterinnen. 16 Jahre später entstand der Dachverband der „Gewerkschaft der Tabakarbeiterinnen und Tabakarbeiter Österreichs“.
Bevor wir jedoch die „heutige“ Tabakfabrik erreichen, biegen wir rechts ab in die Prunerstraße. An der Ecke passieren wir das Prunerstift. Die ehemalige „mildtätige Versorgungsanstalt“, „Gebär- und Findelanstalt“ und „Irrenanstalt“ beherbergt heute die Musikschule Linz.
PRUNERSTRASSE
An der Ecke Lederergasse/Herbert-Bayer-Platz erreichen wir nur wenige Schritte weiter die ehemalige Volksküche, die seit 2003 das afo – architekturforum oberösterreich beherbergt. Hier verweist die Stadtführerin auf die 1961 in Linz geborene Architektin Gabriele Heidecker. Sie gestaltete u.a. den Herbert-Bayer-Platz und wirkte maßgeblich an vielen künstlerischen, kultur- und frauenpolitischen Projekten mit.
An der Schautafel des afo entdecken wir Plakate zur aktuellen Ausstellung „Boden für alle“ sowie zu „Kühne, Schulte, Gegenwart – Gebaut für alle“, wozu wir in Kürze das GEHspräch „Linzer Stadtbausteine der Zwischenkriegszeit“ anbieten. Aber kein Wunder, dass wir hier fündig werden: das afo ist schließlich und erfreulicherweise Netzwerkpartner:in von Linz zu Fuß 🙂
MUSEUMSTRASSE
Das Haus Ecke Prunerstraße 18/Museumstraße 13 beherbergte von 1891 bis 1910/11 das erste Mädchen-Lyzeum:
Das Mädchen-Lyzeum hat die Aufgabe, der weiblichen Jugend eine höhere allgemeine Bildung in ähnlicher Weise zu vermitteln, wie sie die Mittelschulen für die männliche Jugend bezwecken. […] höhere Mädchenbildung, aber im Einklang mit der „weiblichen Eigenart“ und zum Wohle von Familie und Gesellschaft. Immerhin stellten die modernen Zeiten Ehefrauen und Mütter vor immer neue Aufgaben, und so mancher Mann „wollte durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit am häuslichen Herd nicht gelangweilt werden.“
Um die Chancen am Heiratsmarkt nicht zu gefährden, sollte der Lyzeumsabschluss keineswegs zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit führen. Der Weg zur Universitätsreife war noch steiniger. Die Autorinnen der Stadtführerin konnten dennoch eine bedeutende Absolventin des Mädchen-Lyzeums ausfindig machen: die Komponistin Frieda Kern.
FADINGERSTRASSE
Nach wenigen Metern auf der Museumsstraße biegen wir rechts ein in die Fadingerstraße. Dort passieren wir das Francisco Carolium Linz und die „Lisln“, das Krankenhaus der Elisabethinen.
MARIENSTRASSE
Über die Betlehemstraße erreichen wir die Marienstraße, die ihren Namen vom katholischen „Jungfrauenverein“ erhielt. Die Stadtführerin klärt uns auf, dass in den 1870er-Jahren viele Vereine entstanden, die Mädchen und Frauen zum „richtigen“ Glauben anleiten sollten. So fanden im Gebäude mit der Hausnummer 8 die Versammlungen des Frauen-Krankenunterstützungs-Vereins der jüdischen Kultusgemeinde statt. Und am Graben angelangt, finden wir nach wenigen Schritten die Hausnummer 15, wo die Katholische Frauenorganisation unter Fanny von Starhemberg ihren Hauptsitz hatte.
ANNAGASSE
Wir drehen um und biegen rechts in die Domgasse ein. Nach wenigen Metern machen wir einen Zwischenstopp in der Annagasse. Das Gässchen zur Schmidtorstraße wurde nach Anna Hartmayr, der Besitzerin des Hauses Nr. 1, benannt. Unterm Schmidtor Nr. 27 befand sich das Geschäft der Linzer Goldhaubenmacherin Anna Riedl.
HAUPTPLATZ
Weiter über die Domgasse kehren wir zu unserem Ausgangspunkt am Hauptplatz zurück. Dort weist uns die Stadtführerin noch ausdrücklich auf das linke Brückenkopfgebäude hin, das die Linzer Kunstuniversität beherbergt. Der hohe Frauenanteil bei den Professor:innen und im Universitätsrat spricht für sich. Unter anderem war die Künstlerin VALIE EXPORT dort bis 2013 im Universitätsrat vertreten.
Damit beenden wir den spannenden Stadtrundgang. Sicher aber nicht unsere Auseinandersetzung mit Frauenthemen, denn auch Gehen ist weiblich. Und Frauentag ist nicht nur am 8. März!
Lust auf mehr?
Unser Buchtipp: Lisa & Co. – Linzer Stadtführerin – Frauengeschichtliche Stadtrundgänge. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage 2012 BayerVerlag, Wilhering.
Fotos: Nell Leidinger